Silent Lucidity III: Eigenbau

Willkommen zurück zu Teil 3 meiner Klartraum-Trilogie. Wer bis hierhin noch dabei ist, wartet vermutlich genau auf diesen Teil: nämlich meine (hier jedenfalls) vielbeworbene Eigenbau-Methodensammlung.
Dazu werde ich teilweise etwas weiter ausholen müssen. Ich bitte also um Nachsicht, wenn das hier nicht so direkt eine Anleitung als vielmehr eine allgemeine Betrachtung wird.

Zunächst die grundlegende Prämisse:

Träume sind die beste Grafikengine der Welt.

Alles weitere basiert ziemlich exakt auf der Art und Weise, wie man aus einem Konglomerat aus Shadern etwas macht, das man gern spielt. Spieleentwickler haben’s also einfacher, und da das nicht die einzige Anleihe aus der Digitalwelt ist, vermutlich auch alle anderen Computer-Geeks.

make && make install

Bevor man aber das kann, muss man zuerst feststellen, dass man träumt. Wie ich bereits mehrfach angedeutet hatte, macht mir besonders hier der klassische Ansatz über Dream Recall extreme Probeme. Das war zwischenzeitlich auch der Grund, keine weiteren Versuche zu unternehmen, und erst lange Zeit später hatte ich dann die entscheidende Idee.
Nehmt euch einfach mal kurz Zeit, wirklich bewusst alles wahrzunehmen, was gerade um euch herum passiert. Geräusche, Gerüche, Dinge die man sieht. Dabei auch auf das achten, was nur im peripheren Bereich geradeso sichtbar ist. Ihr werdet feststellen, dass das eine ganze Menge ist. Wer sich ein wenig an seine Träume erinnern kann, dem wird auffallen, dass zwar ein Großteil der Sinne funktioniert, aber dabei anders, falsch oder ungenauer funktioniert.
Schritt eins ist also, die Wahrnehmung im Tagesbewusstsein zu steigern und ein Gefühl für die „Bandbreite“ zu bekommen, die dabei belegt wird. Das kann man auch sonst brauchen: soweit ich das beurteilen kann hilft das wunderbar beim Lernen. Danach kann man per einfacher Traffic Analysis jederzeit herausfinden, ob das gerade ein Traum ist oder nicht: im Traum ist die Datenmenge viel geringer, und gerade der Teil mit dem peripheren Sehen fällt vollständig weg. Vermutlich aus praktischen Gründen, dazu gleich mehr.

Andere Reality-Checks benutze ich fast nicht mehr, nur noch dann, wenn ich die Simulation etwas zu gut gestaltet habe und dabei bin, mich selber von der Realität dieser zu überzeugen. Merkt man aber meistens noch rechtzeitig, um passende Maßnahmen zu ergreifen. Gleichzeitig hilft es dabei, etwas zu üben, sich auf mehrere Sachen gleichzeitig zu konzentrieren. Damit meine ich wirklich konzentrieren, denn es ist oft notwendig, sowohl das Mantra „ich träume“ als auch Teile der Handlung bewusst zu halten und vor „Korrosionseffekten“ zu schützen.

Simulacron

Ich erwähnte weiter oben, dass sich Träume prima als tolle Grafikengine und das ganze drumrum als ein Computerspiel vorstellen lassen. Wenn man dies tut, kann man auch im Traum selbst genauso agieren, wie man dies tun würde, wenn man ein Spiel baut oder verändert.
Dabei gibt es grundsätzlich 4 Dinge zu beachten:

  1. Scenes nenne ich allgemein das Setting, also die Umgebung in dem die Handlung stattfindet. Dabei gibt es 2 Untertypen: nahen und fernen Hintergrund. Dabei ist der nahe weitaus einfacher zu verändern; der weite bzw. größermaßstäbliche ist schwerer zu handhaben. Aus einer Stadt einen Bauernhof machen ist schwierig. Eine Einkaufsstraße in einen Stadtpark verwandeln dagegen ist einfach, solange die Stadt da bleibt.
  2. Objects sind alles, mit dem man selbst oder aber die Actors interagieren. Das sind sowohl klassische „handliche“ Objekte wie Äpfel, Schaufeln, aber auch Motorräder, Autos, Stadtparkbänke und vieles mehr.
  3. NPCs oder Non Player Characters sind allgemein alle Personen, die nicht mit dem Träumer personenidentisch sind
  4. Actors als eine Untergruppe der NPCs sind die wirklich interessanten: sie treffen eigene Entscheidungen, sind meist detaillierter als normale NPCs und brauchen „mehr Rechenleistung“. Außerdem haben sie KI!

Jetzt kommt natürlich die spannende Frage: wie läuft das Ändern ab? Oftmals recht primitiv (und sehr ähnlich dem, was in den Standard-Anleitungen steht). Einfachste Methode ist nämlich das Visualisieren des Ist- und Soll-Zustandes, was man dann dadurch umsetzen lässt, dass man kurz wegschaut und erwartet, dass der Sollzustand erreicht wird. Nicht hoffen, erwarten. Das ist gleichzeitig auch ein schöner RealityCheck, denn dass das in der Realität funktioniert, ist sehr selten. Deswegen ist es auch schwierig, die entfernten Backdrops zu ändern: wenn sie überall gelten, wohin sieht man dann weg? Die (virtuellen) Augen schließen ist zwar eine Option, aber das braucht einiges an Training, um den Rest der Szenerie danach wieder zusammen zu bekommen.

Genauso kann man auch Personen beeinflussen. NPCs kann man dabei direkt „rumkommandieren“ und gegebenenfalls auch einfach dahin teleportieren wo man sie braucht. Etwas komplizierter sind Actors, denn, wie gesagt, diese haben einen gewissen Teil KI. Woher kommt diese nun? Einfach: aus Erfahrungen, die wir von Persönlichkeiten haben. Das bedeutet in logischer Folge, dass unbekannte Persönlichkeiten schwierig zu simulieren sind. Aber auch eigentlich bekannte Personen sind schwierig im Traum zu halten, so man sie denn nicht sehr genau kennt. Klassisches Beispiel: Mimik. Warum wacht man wohl oft aus Klarträumen auf, wenn man eine Person genau ansieht? Meine Erklärung: das Gehirn versucht das das zu tun, was es immer tut wenn es ein Gesicht sieht: es versucht, in der Mimik zu lesen. Was bedeutet das nun, wenn das Simulationsmodell bisher nicht so detailliert war? Es wird versucht, Details zu generieren. Liegen dafür keine Daten vor, gibt es eine NullPointerException und alles fliegt uns um die Ohren.

Kopfkino

Eine besondere Form von Klarträumen sind bei mir Filme. Dabei ist zwar klar, dass aktuell ein Traum stattfindet, aber man entscheidet sich bewusst dagegen, einzugreifen. Aufpassen: auch wenn man glaubt, die Entscheidung war bewusst, kann es durchaus sein dass nur das Unterbewusste wieder seine Ruhe haben will und man direkt wieder in den nicht-luziden Zustand fällt.
Schafft man das aber (erfordert Übung, ist aber einfacher aufrecht zu erhalten als komplette Klarträume), hat man durchaus einiges an Unterhaltungswert geschaffen, denn man kann bewusst dem zugucken was man normalerweise träumt. Dabei ist es in gewissem Maß sogar möglich, das Traum-Ich vom Ich-Ich zu trennen. Das macht es auch möglich, sich selbst als (Actor-)KI zu beobachten. Zuerst eine komsiche Vorstellung, aber psychologisch bestimmt interessant.

Fazit

Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob das was ich hier mache (und beschreibe) überhaupt noch unter den Begriff Lucid Dreaming passt. Eine klare Definition, an der man das prüfen könnte, existiert nicht, also ist das alles Ermessensfrage. Im reinen Begriffssinn kann man das klar mit Ja beantworten, aber die Idee ist doch eine etwas andere. Von daher würde ich das ganz klar mit Jein beantworten, da es signifikante Unterschiede in der Ausführung gibt, die Idee aber die gleiche ist.
Zur Schwierigkeit ist jedoch eins zu sagen: wir bewegen uns hier ungefähr dort wo die Koch-Methode zum morsen lernen steht: statt mit einfachem anzufangen und sich dann schrittweise zu verbessern erfolgt der Einstieg auf sehr hohem Niveau. Das bedeutet einerseits eine recht lange Zeit ohne „vorzeigbare“ Erfolge, aber auch dass, sobald man den Bogen einmal raus hat sofort alles möglich ist. Zwar vielleicht nicht direkt perfekt, denn bestimmte Aktionen, gerade was Actors betrifft, erfordern einiges an Konzentration. Ähnliches gilt für das Ändern ohne wegsehen. Dabei ist es aber so, dass meistens ein erfolgreicher Versuch ausreicht, um es nicht mehr zu verlernen.
Durchaus einen lohnende Zeitinvestition also… und es ist ja nicht so dass man während dem Schlafen etwas anderes zu tun hätte 😉

Damit haben wir das Ende meiner kurzen Reise in die Psychologie und etwas was ich immer gerne als Traum-Hacking bezeichne erreicht. Ich hoffe, ich konnte dem ein oder anderen einen Anstoß zu eigenen Experimenten geben, oder vielleicht von früher enttäuschte Träumer zum Neuanfang motivieren. Das war es jedenfalls von meiner Seite.

Martok out.

PS: Im ersten Teil gab es einen Link zu den Lyrics, wer bis hierhin druchgehalten hat bekommt zur Belohnung einen Youtube-Link: QUEENSRYCHE – SILENT LUCIDITY.